Musterwiederholungen aus systemischer Sicht: Warum wir uns in vertraute Geschichten verstricken - und was das mit unserem Nervensystem zu tun hat
- lpeine
- vor 3 Tagen
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Jede*r von uns kennt das: Wir geraten immer wieder in ähnliche Situationen. Ob im Job, in Partnerschaften oder Freundschaften - es scheint, als würde sich manches im Leben in Endlosschleife wiederholen. Wir wählen den gleichen Typ Mensch, erleben ähnliche Konflikte oder finden uns in Rollen wieder, die uns eigentlich nicht guttun. Häufig bemerken wir da erst rückblickend in einem Reflektionsprozess.
Doch warum ist das so? Und wieso fühlt sich das trotz Leidensdruck oft so "sicher" an?
In meiner Arbeit als systemische Therapeutin erlebe ich täglich, wie stark unbewusste Muster und die Suche nach innerer Sicherheit unser Erleben und Verhalten beeinflussen. Heute möchte ich dich einladen, einen systemischen Blick darauf zu werfen und zu verstehen, welche Rolle dein Nervensystem dabei spielt.
Was sind Musterwiederholungen aus systemischer Sicht?
Systemisch betrachtet bewegen wir uns nicht isoliert durchs Leben, sondern immer in Beziehung zu anderen Menschen und zu unseren Herkunftssystemen. Bereits in unserer Kindheit machen wir bestimmte Erfahrungen und erleben Herausforderungen, woraus sich Bewältigungsstrategien entwickeln können, um Bindung und Zugehörigkeit zu sichern (=psychologische Grundbedürfnisse nach Grawe).
Diese Strategien schreiben sich tief in unsere inneren Landkarten (neuronale Verbindungen im Gehirn) ein und beeinflussen, wie wir später Beziehungen gestalten und Situationen bewerten. Sie formen damit unser Erleben und Verhalten und damit auch die Wirklichkeitskonstruktionen einer jeden Person. Wenn du z.B. in deiner Herkunftsfamilie gelernt hast, dass deine Bedürfnisse wenig Raum hatten und du für Harmonie sorgen musstest (Bewältigungsstrategie), wird es dir später möglicherweise schwerfallen, gesunde Grenzen zu setzen. Stattdessen wirst du dich womöglich immer wieder in überfordernden oder einseitigen Beziehungen wiederfinden.
Diese Musterwiederholungen sind nicht bewusst gewählt, sondern unterliegen unbewussten Loyalitäten und Sicherungsstrategien, die einst sinnvoll waren – und heute überholt sind.
Warum halten wir an alten Mustern fest, selbst wenn sie uns schaden?
Unser Nervensystem richtet den Fokus auf Sicherheit, nicht auf "Glück".
Das klingt paradox, ist aber ein überlebensbiologischer Mechanismus: Unser autonomes Nervensystem ist darauf ausgelegt, möglichst Vorhersehbares zu erleben, denn Unbekanntes könnte potenziell bedrohlich sein.
Selbst schmerzhafte oder destruktive Muster geben dem System eine gewisse Stabilität und "Sicherheit", weil sie vertraut sind. Das erklärt auch, warum wir uns oft zu Menschen oder Situationen hingezogen fühlen, die alten Erlebnissen ähneln - nicht weil sie gut für uns sind, sondern weil unser Körper und vor allem unser Nervensystem sie kennt. Durch häufiger Wiederholungen (=Prägungen) fühlen sich die Erlebnisse sicher an.
Das nennt man in der Traumatherapie auch „trauma bonding“. Sie führt dazu, dass sich für uns dysfunktionale Dynamiken wiederholen, wenn wir die dahinterliegenden Muster nicht bewusst wahrnehmen und unterbrechen.
Welche Rolle spielt das Nervensystem dabei?
Unser Nervensystem reguliert permanent, ob wir uns sicher, angespannt oder bedroht fühlen. Im autonomen Nervensystem gibt es drei zentrale Zustände:
Ventral-vagaler Zustand: Wir fühlen uns verbunden, sicher und ausgeglichen.
Sympathischer Zustand: Kampf- oder Fluchtmodus, wir sind aktiviert und unter Stress.
Dorsal-vagaler Zustand: Rückzug, Erstarrung, Erschöpfung.
Alte Beziehungserfahrungen und emotionale Prägungen beeinflussen, wie schnell wir in welchen Zustand wechseln - und wie lange wir darin verharren.
Musterwiederholungen sorgen oft dafür, dass wir uns in bestimmten Systemzuständen „zu Hause“ fühlen. Ein Beispiel: Wer in der Kindheit gelernt hat, dass Nähe gefährlich ist, bleibt als Erwachsener lieber im sympathischen Alarmzustand oder im Rückzug, sobald jemand zu nah kommt - und wiederholt damit die alte Erfahrung der Distanzierung.
Wie können wir Muster erkennen und verändern?
Der erste Schritt ist immer das Bewusstwerden. In meiner therapeutischen Arbeit nutze ich dazu:
Genogramm-Arbeit: Um Verstrickungen und wiederkehrende Beziehungsmuster sichtbar zu machen.
Arbeit mit dem Familienbrett: Um Dynamiken im Familiensystem zu erkennen.
Systemische Fragen: Die helfen, blinde Flecken aufzudecken und neue Perspektiven einzunehmen.
Embodiment-Methoden: Um zu spüren, wo und wie sich alte Muster im Körper zeigen.
Arbeit mit dem Nervensystem: Ressourcenübungen, Regulationstechniken und sichere Beziehungsangebote, um neue Erfahrungen zu ermöglichen.
Denn: Veränderung geschieht nicht allein im Kopf, sondern im Erleben. Wenn wir uns in sicheren Beziehungen und therapeutischen Settings anders erfahren dürfen, kann das Nervensystem lernen, dass Nähe, Selbstbehauptung oder Verletzlichkeit heute nicht mehr gefährlich sind.
Warum Wiederholungen kein Scheitern sind
Viele meiner Klient*innen empfinden es als Versagen, wenn sie feststellen, dass sie „schon wieder in der gleichen Situation gelandet sind“.
Ich sehe das anders: Wiederholungen sind ein Signal, dass ein Teil von uns nach Lösung sucht - auf dem Weg zu mehr Handlungsfähigkeit.
Systemisch betrachtet versucht das System, einen unvollendeten Prozess abzuschließen. Mit jeder Wiederholung wächst die Chance, es diesmal bewusst anders zu machen.
Fazit: Vertrautes ist nicht immer heilsam
Musterwiederholungen haben ihren Ursprung oft in frühen Erfahrungen, die einst überlebenswichtig waren. Heute behindern sie uns vielleicht, doch sie können sich verändern, wenn wir uns ihrer bewusstwerden und das Nervensystem Schritt für Schritt neue, sichere Erfahrungen machen lässt.
Dafür braucht es manchmal Mut, vor allem Geduld mit sich selbst und bei Bedarf eine beraterische oder therapeutische Begleitung.
Denn Veränderung beginnt oft genau da, wo wir uns erlauben, innezuhalten, hinzusehen – und zu spüren, was wir wirklich brauchen.
Möchtest du mehr über systemische Muster und ihre Auflösung erfahren? Oder herausfinden, welche alten Prägungen dich noch leiten?
Dann melde dich gern für ein Erstgespräch bei mir oder abonniere meinen Newsletter „Systemgeschlüster“.
Herzlich,
Luisa
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