Von Drama zu Dialog: Wie du Konflikte in deiner Beziehung besser verstehst - Systemische Paarberatung und Paartherapie
- lpeine
- 7. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 5. Aug.
Beziehungen sind lebendige, dynamische Systeme. Sie bestehen nicht nur aus zwei Menschen, sondern auch aus deren Geschichten, Prägungen des Lebens, Erfahrungen, Erwartungen, Wünschen und den Mustern, die sich im gemeinsamen Miteinander entwickeln. Konflikte sind dabei kein Zeichen von Scheitern, sondern ein Ausdruck davon, dass Bewegung im System ist. Diese Bewegungen können Raum für Neues schaffen.
In der systemischen Sichtweise betrachten wir in der systemischen Paarberatung und Paartherapie
nicht nur das sichtbare Verhalten, sondern auch die dahinterliegenden Dynamiken und die Funktion, die ein Verhalten innerhalb der Beziehung erfüllt. (das Verborgene oder Unausgesprochene) Dieser Blick eröffnet neue Möglichkeiten, mit Konflikten umzugehen und Veränderung anzustoßen.
Was sind Beziehungssysteme?
Ein Beziehungssystem besteht aus den Beteiligten und den wechselseitigen Einflüssen, die sie aufeinander haben. In Paarbeziehungen, Freundschaften oder familiären Beziehungen entsteht ein eigenes „Beziehungsfeld“ mit bestimmten Mustern und Regeln — oft unbewusst und über lange Zeit eingespielt.
Beispiel: Wenn Person A sich zurückzieht, reagiert Person B vielleicht mit mehr Kontrolle oder Näheversuchen. Das führt bei Person A wiederum zu noch mehr Rückzug. Ein Kreislauf, der sich verselbstständigen kann und zur Verengung des Beziehungssystems führen kann.
Konflikte als Ausdruck systemischer Dynamiken
Konflikte sind aus systemischer Perspektive nicht das Problem an sich, sondern ein Symptom für eine Störung im Gleichgewicht des Systems. Sie zeigen an, dass etwas im Beziehungssystem in Bewegung geraten ist oder Bedürfnisse nicht ausreichend gesehen und verhandelt werden.
Wichtige Fragen dazu könnten lauten:
Welche Funktion hat der Konflikt für die Beziehung?
Was liegt unter dem Konflikt?
Was bleibt unausgesprochen?
Wessen Bedürfnis wird übersehen?
Wie wird über individuelle Bedürfnisse gesprochen? In welchem Rahmen?
Welche unausgesprochenen Regeln prägen das Miteinander?
Die Rolle von Mustern und Wiederholungen
Oft erleben Menschen in unterschiedlichen Beziehungen ähnliche Konfliktsituationen. Systemisch gesprochen handelt es sich dabei um Musterwiederholungen, die aus früheren Beziehungserfahrungen stammen.
Beispiel: Jemand, der in der Herkunftsfamilie gelernt hat, dass Konflikte laut und verletzend ausgetragen werden, könnte in Partnerschaften entweder genau dieses Verhalten zeigen - oder Konflikte komplett vermeiden, aus Angst vor Eskalation.
Diese Muster sind erlernt und haben in früheren Kontexten häufig einen guten Grund gehabt. In aktuellen Beziehungen wirken sie jedoch manchmal hinderlich und führen zu Spannungen. Dabei ist es wichtig, den guten Grund der Verhaltensweisen (& damit den Gewinn dessen) zu erkennen und zu würdigen. Auch wenn gewisse Teile davon in der Gegenwart als "störend" empfunden werden
Das Prinzip der Zirkularität
Ein zentrales Konzept in der systemischen Arbeit ist die Zirkularität. Es bedeutet, dass Verhalten nie isoliert entsteht, sondern immer in Wechselwirkung mit dem Verhalten der/des anderen steht.
Frage: Wie beeinflusst mein Verhalten das Verhalten meines Gegenübers - und umgekehrt?
Beispiel: Wenn ich mich emotional verschließe, zieht sich meine PartnerIn vielleicht ebenfalls zurück. Wenn ich mich öffne, könnte das die/den anderen einladen, das auch zu tun.
Systemisches Arbeiten lädt dazu ein, diese Wechselwirkungen zu erkennen und bewusst zu gestalten.
Konstruktivismus: Die Wirklichkeit entsteht in Köpfen
Ein weiteres wichtiges Prinzip ist der Konstruktivismus: Wir alle konstruieren unsere Wirklichkeit aus unseren Erfahrungen, Überzeugungen und Erwartungen. Konflikte entstehen oft, weil unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen aufeinandertreffen. Wie durch eine Brille sehen wir die Welt bedingt durch unsere individuelle Wirklichkeitskonstruktion. Diese "Brillen" unterscheiden sich individuell.
Beispiel: Für die eine Person bedeutet „Nähe“ tägliche Telefonate. Für die andere Person ist das einengend. Beide erleben die Situation als belastend - aus völlig unterschiedlichen inneren Landkarten.
In der systemischen Haltung geht es darum, die jeweilige Wirklichkeitskonstruktion sichtbar und verständlich zu machen, ohne sie zu bewerten.
Werte und Lebensziele als unsichtbare Regisseure von Partnerschaftsdynamiken
In jeder Partnerschaft treffen nicht nur zwei Menschen aufeinander, sondern auch zwei Lebensgeschichten, Wertehaltungen und Vorstellungen davon, wie „gutes Leben“ und „gelingende Beziehung“ aussehen sollen. Aus systemischer Perspektive wirken diese Werte und Lebensziele oft im Hintergrund und prägen unbewusst das Erleben von Nähe, Verbindlichkeit und Konflikten. Was für die/den eine/n Freiheit bedeutet, kann für die/den andere/n Unsicherheit auslösen. Während eine Person Harmonie als oberstes Ziel sieht, schätzt die andere vielleicht eine offene Streitkultur. Diese unterschiedlichen inneren Landkarten beeinflussen Entscheidungen, Erwartungen und das Verhalten in Konfliktsituationen. Wenn Paare sich ihrer eigenen Werte und Zukunftsvorstellungen bewusst werden und diese miteinander abgleichen, können sie Dynamiken besser verstehen und aktiv gestalten. Konflikte entstehen häufig dort, wo unausgesprochene Wertvorstellungen und Lebensziele aneinanderstoßen und bleiben bestehen, solange sie nicht sichtbar und verhandelbar gemacht werden. Systemische Beratung bietet hier den Rahmen, diese Themen behutsam zu explorieren und neue, gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.
Konflikte und Sexualität – ein systemischer Blick
Ein oft unterschätzter Aspekt in Partnerschaftskonflikten ist das Thema Sexualität. Ulrich Clement betont in seiner sexualtherapeutischen Arbeit, dass Schwierigkeiten in der sexuellen Beziehung nicht isoliert betrachtet werden sollten. Vielmehr spiegeln sie häufig die Dynamik der gesamten Partnerschaft wider. Konflikte in Kommunikation, Nähe und Autonomie zeigen sich nicht selten auch im sexuellen Erleben - oder umgekehrt: eine belastete oder unbefriedigende Sexualität kann als Symptom für unausgesprochene Spannungen, ungelöste Rollenfragen oder nicht ausgehandelte Bedürfnisse im Alltag stehen. Clement spricht von Sexualität als einem „Dialog über das Medium Körper“ und macht deutlich, dass Paare oft über ihre Sexualität kommunizieren, was sie sich sprachlich nicht zu sagen trauen. Konflikte bieten hier die Chance, sich auch über diesen sensiblen Bereich der Beziehung bewusster zu werden und ihn aktiv in die Auseinandersetzung miteinzubeziehen.
Was hilft im Umgang mit Beziehungskonflikten?
1️⃣ Muster erkennen: Welche wiederkehrenden Dynamiken gibt es? Wann treten Konflikte besonders häufig auf?
2️⃣ Den guten Grund verstehen: Welchen guten Grund könnte das Verhalten haben? Welche Bedürfnisse stehen dahinter?
3️⃣ Verantwortung teilen: Nicht eine/einer trägt Schuld, sondern beide gestalten gemeinsam das System und die Dynamik und tragen einen eigenen Teil dazu bei.
4️⃣ Unterschiedliche Wirklichkeiten anerkennen: Jede/Jeder hat ihre/seine eigene Wahrnehmung. Es gibt kein objektives „richtig“ oder „falsch“.
5️⃣ Zirkularität nutzen: Veränderst du dein Verhalten, wird sich das auf die/den anderen auswirken. Kleine Veränderungen können große Dynamiken in Bewegung bringen.
Fazit
Beziehungen sind komplexe Systeme, in denen Dynamiken und Konflikte dazugehören. Systemisches Denken lädt dazu ein, weniger nach Schuldigen und mehr nach Zusammenhängen, Funktionen und Wechselwirkungen zu suchen.
Wer den Mut hat, Muster zu erkennen und Wirklichkeitskonstruktionen zu hinterfragen, kann Beziehungskonflikte nicht nur klären, sondern daran auch wachsen.





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