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Das Skript von Bindung und Liebe

Liebe ist eine der kraftvollsten Erfahrungen unseres Lebens. Doch hast du dich jemals gefragt, welches Skript du für die Liebe mit dir trägst? Oft sind unsere Vorstellungen, Erwartungen und Verhaltensmuster in Beziehungen nicht zufällig, sondern tief in uns verankert – geprägt durch unsere Herkunft, Erlebnisse und Prägungen aus früheren Beziehungen.


Dein inneres Drehbuch

Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens unbewusst ein inneres Drehbuch für die Liebe. Dieses Skript beeinflusst, wie wir lieben, wie wir mit Konflikten umgehen, wie (und ob) wir Wünsche und Bedürfnisse kommunizieren und welche Erwartungen wir an unsere Partner:innen haben. Es kann von Erfahrungen aus der Kindheit, beobachteten Beziehungsmustern in der Familie oder auch gesellschaftlichen Narrativen beeinflusst sein.


  • Welche Liebesmuster hast du in deiner Familie beobachtet?

  • Welche Erfahrungen haben dein Bild von Liebe geprägt?

  • Welche Erwartungen hast du an eine Partnerschaft?


Liebe als Wiederholung oder bewusste Gestaltung?

Oft wiederholen wir unbewusst Muster aus unserer Vergangenheit. Wenn wir in einem Umfeld aufgewachsen sind, in dem Liebe an Bedingungen geknüpft war, kann es sein, dass wir uns (oder anderen) auch in erwachsenen Beziehungen erst "beweisen" müssen, um Liebe zu erhalten. Umgekehrt kann ein sicherer und liebevoller Hintergrund das Vertrauen in stabile Beziehungen stärken.

Doch unser Skript ist nicht in Stein gemeißelt. Wir haben die Möglichkeit, unsere Muster zu erkennen und neu zu definieren.


Einladung zur Reflexion

Ein erster Schritt kann sein, sich bewusst mit dem eigenen Liebesskript auseinanderzusetzen. Frage dich:


  • Welche Grundannahmen habe ich über Liebe?

  • Wo spüre ich Wiederholungen in meinen Beziehungen?

  • Was wünsche ich mir in der Liebe wirklich?


Sich dieser Muster bewusst zu werden, kann helfen, sich aus belastenden Dynamiken zu lösen und die eigene Art zu lieben bewusst zu gestalten. Liebe kann eine bewusste Entscheidung sein – eine Entscheidung für mehr Freiheit, Authentizität und gegenseitiges Wachstum.

Was ist dein Skript von Liebe – und willst du es vielleicht umschreiben?


Das Thema Bindung ist in den letzten Jahren sehr präsent geworden. In Büchern, Podcasts und auf Social Media wird viel über Bindungsangst, „toxische Beziehungen“ oder „emotionale Unverfügbarkeit“ gesprochen. Die Bindungstheorie, ursprünglich entwickelt von John Bowlby und später weiter ausgearbeitet von Mary Ainsworth, liefert wertvolle Grundlagen, um diese Dynamiken zu verstehen.

Doch während die Bindungstheorie auf individuelle Muster fokussiert, schaut die systemische Perspektive zusätzlich auf den Beziehungs- und Interaktionskontext: Wie wirken beide Partner:innen miteinander zusammen? Welche Muster wiederholen sich? Welche Bedeutungen haben Nähe, Distanz und Sicherheit in einem Beziehungssystem?


Die vier klassischen Bindungsstile nach Bowlby

  1. Sicherer Bindungsstil: Menschen mit sicherer Bindung können Nähe zulassen und Distanz aushalten. Sie fühlen sich in Beziehungen grundsätzlich geborgen und vertrauen darauf, dass Konflikte lösbar sind.

  2. Unsicher-vermeidender Bindungsstil: Nähe wird als bedrohlich oder einengend erlebt. Betroffene ziehen sich oft zurück, wenn es emotional wird, und wirken distanziert. Dahinter steckt meist die Angst vor Zurückweisung.

  3. Unsicher-ambivalenter Bindungsstil: Diese Personen suchen starke Nähe und Bestätigung, sind aber gleichzeitig unsicher, ob diese verlässlich ist. Sie reagieren sensibel auf kleinste Signale von Distanz und haben oft Angst, verlassen zu werden.

  4. Desorganisierter Bindungsstil: Nähe und Distanz sind hier stark widersprüchlich. Menschen mit diesem Stil schwanken zwischen Bedürfnis nach Nähe und Angst davor, verletzt zu werden. Oft entstehen intensive, konflikthafte Beziehungen.


Warum reden heute so viele über Bindungsangst und Unfähigkeit zu lieben?

In unserer Gegenwart sind Beziehungen zunehmend wahlfrei und instabiler als früher. Partnerwahl geschieht nicht mehr nur durch soziale Rahmenbedingungen, sondern durch individuelle Entscheidungen. Gleichzeitig steigt der Druck: Beziehungen sollen sicher, erfüllend, leidenschaftlich und stabil sein.

Bindungsangst wird heute schnell selbst diagnostiziert – manchmal auch vorschnell. Systemisch gesehen macht es wenig Sinn, jemanden als „bindungsunfähig“ zu etikettieren. Denn:


  • Bindungsverhalten ist immer eine Antwort auf Beziehungserfahrungen.

  • Muster entstehen nicht isoliert, sondern im Kontakt mit wichtigen Bezugspersonen.

  • In einer aktuellen Partnerschaft können alte Bindungserfahrungen reaktiviert werden – sie sind also kontext- und beziehungsabhängig.

Statt Schuld oder Defizite zu suchen, fragen wir systemisch: „Wie macht dieses Verhalten Sinn in der Geschichte dieses Menschen – und wie wirkt es im aktuellen Beziehungssystem?“


Wie sich Bindungsstile gegenseitig anziehen können

Spannend ist, dass sich Bindungsstile häufig ergänzen – manchmal auf schmerzhafte Weise:

  • Ambivalent + vermeidend:Der eine sucht Nähe, der andere Distanz. Dieses Wechselspiel verstärkt die Muster: je mehr Nähe einer sucht, desto mehr Rückzug beim anderen – ein Teufelskreis.

  • Sicher + unsicher:Ein sicher gebundener Mensch kann Stabilität geben, sodass der unsichere Partner mehr Vertrauen entwickelt.

  • Ambivalent + ambivalent:Beide Partner leben starke Schwankungen zwischen Nähe und Angst – Konflikte und Dramen sind vorprogrammiert.

Systemisch betrachtet geht es weniger um „richtig“ oder „falsch“, sondern darum, wie Muster miteinander in Resonanz treten. Paare geraten oft unbewusst in Dynamiken, die die alten Bindungserfahrungen immer wieder inszenieren.


Arbeit in der systemischen Einzel- und Paartherapie

1. Hypothesenbildung

Ich schaue darauf, wie Bindungsmuster in Interaktionen sichtbar werden:

  • Wer geht in den Rückzug, wenn es emotional wird?

  • Wer sucht dann umso mehr Nähe?

  • Welche Gefühle und Geschichten stehen dahinter?


2. Zirkuläre Fragen

Beispiele:

  • „Was glaubst du, wie sich deine Beziehungsperson fühlt, wenn du dich zurückziehst?“

  • „Was für eine Botschaft steckt in diesem Verhalten & was soll damit geschützt werden?“


3. Externalisierung

Bindungsangst oder Rückzug werden als eigenständige „Akteure“ betrachtet:

  • „Was macht die Angst in eurer Beziehung?“

  • „Wie verführt der Rückzug euch beide dazu, in alte Rollen zu fallen?“


4. Neue Erfahrungen ermöglichen

Im sicheren Rahmen der Therapie können Partner*innen neue Kommunikationsmuster ausprobieren: Bedürfnisse klar benennen, Gefühle ausdrücken, Reaktionen des anderen neu erleben.


Selbstreflexionsimpulse – auch ohne Therapie

Erkenne deine Muster:

  • Was passiert mit dir, wenn dein/e Partner/in auf Distanz geht?

  • Wann fühlst du dich unsicher und suchst mehr Nähe?

Übe Perspektivwechsel:

  • Was könnte im Inneren des anderen los sein, wenn er sich zurückzieht oder klammert?

  • Welche guten Gründe könnte es geben?

Sprich über Bedürfnisse statt Vorwürfe:

  • Statt: „Du lässt mich immer allein!“

  • Anders: „Ich merke, dass ich mich unsicher fühle, wenn du dich zurückziehst. Dann wünsche ich mir mehr Rückmeldung.“

Achte auf Selbstfürsorge: Bindungsmuster verändern sich, wenn wir lernen, unsere eigenen Gefühle ernst zu nehmen und uns selbst Sicherheit zu geben.


Fazit

Bindungsstile sind kein Schicksal, sondern dynamische Muster, die sich in Beziehungen zeigen und auch verändern können. Systemisch betrachtet sind sie Verständigungsangebote: Sie erzählen Geschichten über frühere Erfahrungen und aktuelle Bedürfnisse. Wer sich mit seinen Bindungsmustern auseinandersetzt und beginnt, sie bewusst zu reflektieren, kann möglicherweise die Idee entwickeln, Nähe nicht nur als Risiko, sondern auch als Ressource zu erleben.


Herzlichst,

Luisa

2 Kommentare

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Gast
07. Nov.
Mit 5 von 5 Sternen bewertet.

Liebe Luisa,

für mich als Lehrnende des systemischen Coachings mit Figuren sind deine Zusammenfassungen der systemisches Theorien oder auch jetzt der Bindungsstile sehr wertvoll.

Herzlichen Dank dafür

Susanne Becker-Köhler

Gefällt mir
Luisa Peine
vor einem Tag
Antwort an

Liebe Susanne, es freut mich sehr, dass ich dich mit den Beiträgen erreiche und diese auch noch nützlich für dich sind. Gern kannst du mir auch bei konkreten Beitragsideen eine E-Mail schreiben. Liebe Grüße, Luisa

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